von Präsidiumsmitglied André Feske
Das Jahr 2022 bringt neue Herausforderungen. Der nachfolgende kurze Überblick beschränkt sich auf die mit dem Elektronischen Rechtsverkehr (ERV) und dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) zusammenhängenden Neuerungen.
Die Berufspflicht zur „passiven“ Nutzung“ des beA , § 31 a BRAO, und die dafür im Einzelnen zu beachtenden, in der RAVPV geregelten, Anforderungen sind von den Kolleginnen längst im Berufsalltag umgesetzt. Gerichte versenden die Post an die beteiligten Rechtsanwältinnen zunehmend elektronisch.
Vorreiter war das Sozialgericht Berlin, das als erstes Berliner Gericht vollständig digital arbeitet. Zumindest beim elektronischen Postversand holen die Zivilgerichte nun auf. Diese Tendenz wird sich im Jahr 2022 vermutlich noch verstärken. Als Folge des dann massenhaft anfallenden elektronischen Posteingangs werden auch diese Gerichte (hoffentlich) bald ihre internen Arbeitsabläufe digitalisieren.
Neu ist ab 01.01.2022 die aktive Nutzungspflicht für alle Rechtsanwältinnen. Die Verfahrensordnungen (fast) aller Gerichtsbarkeiten sehen ab diesem Stichtag für Rechtsanwältinnen die Pflicht zur ausschließlich elektronischen Einreichung der das Verfahren betreffenden Dokumente vor. Für den Zivilprozess gilt dann § 130 d ZPO.
130d Nutzungspflicht für Rechtsanwälte und Behörden
Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.
130 d ZPO dient als Modell für gleichlautende Vorschriften in anderen Verfahrensarten wie § 14b FamFG, § 46g ArbGG, § 65d SGG, § 55d VwGO und § 52d FGO.
Im Wesentlichen heißt das:
Die Prozessvertreter der Parteien müssen sämtliche Dokumente elektronisch einreichen. Dieser Formzwang gilt nicht nur für Rechtsanwältinnen, sondern auch für andere „institutionelle“ Verfahrensbeteiligte. Nur die Naturalpartei selbst bleibt vom Zwang zur elektronischen Form verschont.
Technische Störungen im ERV hält das Gesetz für möglich. Für diesen Fall gelten die Sonderregeln der Sätze 2 und 3. Diese erfassen aber nicht den Fall, dass die elektronische Übermittlung durch Mängel in der eigenen Büroorganisation scheitert (etwa: beA-Chipkarte nicht auffindbar, kein Zugriff auf das beA wegen unterlassener Aktualisierungen der Client Security).
Nur für die Strafverteidigung gilt eine Ausnahme. Auch im Strafverfahren gilt zwar die Pflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten, aber nur eingeschränkt. § 32 d StPO lautet:
32d Pflicht zur elektronischen Übermittlung
Verteidiger und Rechtsanwälte sollen den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage müssen sie als elektronisches Dokument übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, ist die Übermittlung in Papierform zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.
Im Wesentlichen heißt das:
Jeder Schriftsatz, Antrag oder Erklärung kann elektronisch eingereicht werden (Satz 1) und muss von der Justiz auch in dieser Form entgegengenommen und bearbeitet werden. Das entspricht in etwa der Regelung in § 130 a Abs. 1 ZPO.
Die im enumerativen Katalog des § 32 d Satz 2 StPO genannten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen müssen aber ab 01.01.2022 elektronisch eingereicht werden. Andernfalls fehlt es an der Wahrung der dafür – neu – gesetzlich vorgeschriebenen Form.
Den übrigen Verfahrensbeteiligten im Strafprozess (der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten, Angeschuldigten, Nebenkläger, dem Privatkläger) ist vorerst weiterhin freigestellt, ob eine elektronische Einreichung erfolgt.
Welche Anforderungen die an die Justiz elektronisch einzureichenden Dokumente erfüllen müssen, ist in bundeseinheitlichen Verordnungen, der ERVV und ERVB, geregelt.
Grundsätzlich gilt: Versand von Dokumenten nur als PDF. Die weitere Anforderung in § 2 Abs.1 ERVV, dass die elektronischen Dokumente „in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form“ zu übermitteln sind, wurde durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl. I, S. 4607 ff.) gestrichen. Diese Änderung tritt am 01.01.2022 in Kraft. Es bleibt weiterhin dabei, dass das Dateiformat PDF durch das Dateiformat TIFF ersetzt werden kann, wenn bildliche Darstellungen im Format PDF nicht verlustfrei wiedergegeben werden können.
Ein gesetzliches Schriftformerfordernis ist beim Versand elektronischer Dokumente nur gewahrt, wenn das Dokument entweder qualifiziert elektronisch signiert ist (Signaturkarte erforderlich), oder mit einer einfachen Signatur (Namenszusatz im Schriftsatz) auf einem „sicheren Übermittlungsweg“ (dem eigenen beA) von der Postfachinhaberin selbst versandt wird.
Um das beA ab dem 01.01.2022 sinnvoll und rechtssicher im eigenen Büroalltag einzusetzen, müssen eigene Arbeitsabläufe geprüft, überdacht und ggf. neu organisiert werden.
Auch die Rechtsanwaltskammer Berlin bietet dafür noch vor dem Jahresende Seminare für Rechtsanwältinnen und deren Mitarbeitende an.