Am 10. Juni 2021 hat der Bundestag mit dem Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe (BRAO-Reform) und mit dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt („Legal-Tech-Gesetz“) zwei für die Anwaltschaft wichtige Gesetze verabschiedet. Ebenfalls angenommen wurde der Gesetzentwurf zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften, das u.a. Bedeutung hat für die Vertreterbestellung, die Aktenführung und die Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwaltskammern.
Die BRAO-Reform wird im Sommer 2022, ein Jahr nach Verkündung zu einem Monatsersten, in Kraft treten, wenn das Gesetz den Bundesrat am 25. Juni 2021 passiert (TOP 37).
Ein Kernpunkt der BRAO-Reform ist die Erweiterung der interprofessionellen Zusammenarbeit: Künftig können Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihren Beruf auch mit allen freien Berufen nach § 1 Abs. 2 PartGG ausüben, soweit die Verbindung nicht die unabhängige Stellung der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts beeinträchtigt. Und auch die Bürogemeinschaft wurde liberalisiert: Mitglieder einer Bürogemeinschaft können auch aus all jenen Berufen kommen, die ein Anwalt oder eine Anwältin als Zweitberuf ausüben darf und die nicht das Vertrauen in die anwaltliche Unabhängigkeit gefährden. Die weitgehende Liberalisierung der Sozietätsfähigkeit wurde vom Deutschen Anwaltverein (DAV) begrüßt, von der Bundesrechtsanwaltskammer dagegen kritisiert, da dies den Core Values der Anwaltschaft nicht ausreichend Rechnung trage.
Die Interessenskollision wird für die Berufsausübungsgesellschaft in der BRAO nun so geregelt, dass von der Sozietätserstreckung nicht nur die Gesellschafterin und der Gesellschafter von Berufsausübungsgesellschaften, sondern auch deren angestellten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie die angestellten Anwälte von Einzelanwälten sowie die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kanzleien erfasst sind. Von der Sozietätserstreckung ausgenommen bleibt die Bürogemeinschaft. Gestrichen hat der Bundestag die von vielen Seiten kritisierte Verschärfung des Verbots der widerstreitenden Interessen bei vertraulichen Informationen.
Hinsichtlich des beA konnte sich die Bundesrechtsanwaltskammer mit der Forderung durchsetzen, dass das Gesellschaftspostfach für alle im Gesamtverzeichnis eingetragenen Berufsausübungsgesellschaften verpflichtend eingerichtet wird. Für mehrere Standorte beziehungsweise Zweigniederlassungen können die Berufsausübungsgesellschaften fakultativ weitere Gesellschaftspostfächer erhalten.
Das Gesetz sieht in § 46 Abs. 6 BRAO vor, dass ein nichtanwaltlicher Arbeitgeber, der zu Erbringung von Rechtsdienstleistungen berechtigt ist, diese auch durch von ihm angestellte Syndikusrechtsanwältinnen und –rechtsanwälte erbringen kann. Allerdings muss der Syndikusrechtsanwalt in diesen Fällen darauf hinweisen, dass keine anwaltliche Beratung im Sinne des § 3 BRAO erbracht wird und ihm zudem kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO zukommt.
Im neuen § 43f BRAO wird geregelt, dass Anwältinnen und Anwälte in Zukunft mindestens zehn Zeitstunden Berufsrecht bis zum Ende des ersten Jahres der Zulassung gehört haben müssen. Angerechnet werden Lehrveranstaltungen in den vergangenen sieben Jahren vor der Zulassung, also im Studium und im Referendariat. Diese Regelung betrifft nicht die bereits zugelassenen Kammermitglieder.
Schließlich werden gem. § 190 Abs. 1 BRAO in den BRAK-Hauptversammlungen in Zukunft die Stimmen nach den Mitgliedszahlen der regionalen Rechtsanwaltskammern gewichtet: Kammern bis 1.000 Mitglieder haben nur noch eine Stimme, Kammern mit mehr als 12.000 bis zu 15.000 Mitglieder beispielsweise dann sieben Stimmen. Allerdings sieht § 190 Abs. 3 BRAO („Vetorecht“) vor, dass ein Beschluss als nicht gefasst gilt, wenn mindestens 17 Rechtsanwaltskammern widersprochen haben.
Nach dem ebenfalls vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Förderung verbrauchergerechte Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt wird den Anwältinnen und Anwälten die Möglichkeit eingeräumt, bei pfändbaren Geldforderungen bis zu 2.000 € sowie bei der Erbringung von Inkassodienstleistungen (außergerichtlich und im gerichtlichen Mahnverfahren) Erfolgshonorare zu vereinbaren. Allerdings ist die Prozessfinanzierung durch die Anwaltschaft nicht zulässig. Die Anwaltschaft darf demnach in gerichtlichen Verfahren (mit Ausnahme des gerichtlichen Mahnverfahrens) keine Gerichtskosten, Verwaltungskosten oder Kosten anderer Beteiligter übernehmen. Die Bundesrechtsanwaltskammer zeigte sich hierüber erleichtert, lehnte aber die eingeschränkte Freigabe des Erfolgshonorars ab.
Im Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) wird die Rechtsdienstleistung eng definiert. Der Inkassobegriff nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG umfasst nur noch die auf die Einziehung einer konkreten Forderung bezogene rechtliche Prüfung und Beratung. Darüber hinausgehende, die Einziehung begleitende Tätigkeiten sollen sich dagegen regelmäßig an den Voraussetzungen des § 5 RDG messen lassen und können dann als Nebenleistung zulässig sein.
Wenn das Gesetz den Bundesrat (Tagesordnung für den 25. Juni 2021, TOP 40) passiert, könnte es am 1. Oktober 2021 in Kraft treten.
Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin hat sich wiederholt mit den beiden Gesetzentwürfen befasst, zuletzt in der Vorstandssitzung am 03.02.2021 unter TOP 3 und TOP 4.