Im Interview mit dem Kammerton 5/2023 hat Präsidiumsmitglied Kati Kunze zur Entscheidung des EuGH vom 12.01.2023 (Az. C-395/21) über die Transparenz von Zeithonorarklauseln Stellung genommen.
RA Herbert P. Schons kommentiert hier die Folgen der Entscheidung und erörtert, wie die Anwaltschaft auf dieses Urteil und auf die kurz darauf ergangene Entscheidung des Landgerichts München I vom 02.02.2023, (Az. 4 O 14404/22) reagieren kann:
In der Entscheidung des EuGH vom 12.01.2023 beschäftigte man sich – vereinfacht ausgedrückt – mit dem Transparenzerfordernis einer anwaltlichen Vergütungsvereinbarung.
Im Leitsatz wird festgestellt, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrages über die Erbringung von Rechtsdienstleistung, nach der sich die Vergütung der Dienstleistung nach dem Zeitaufwand richtet, nicht ohne weitere Angaben dem Erfordernis der Klarheit und Verständlichkeit genüge.
In dem betroffenen Fall hatte ein Rechtsanwalt aus Litauen mit dem Mandanten ein bescheidenes Stundenhonorar in Höhe von sage und schreibe 100 € vereinbart, ohne zu erkennen zu geben, mit welchen Gesamtkosten der Mandant bei Beendigung des Mandates zu rechnen habe.

Auch eine Verpflichtung, den Zeitaufwand regelmäßig abzurechnen, fand sich in der Vergütungsvereinbarung nicht.
Insoweit wurde ausdrücklich die Missbräuchlichkeit der entsprechenden Vergütungsklausel festgestellt.
Man müsse – so die Entscheidung – je nach den einschlägigen berufs- und standesrechtlichen Vorschriften Informationen vermitteln, anhand derer der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einschätzen könne, etwa eine Schätzung der Stunden, die voraussichtlich oder mindestens erforderlich seien, um eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, oder die Verpflichtung festzuschreiben in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind.
Erste Einschätzungen sind bereits zu finden, unter anderem eine Einschätzung von Burhoff in: AGS 2023, S. 69 ff.
Lege man den strengen Maßstab wortgenau an, so hält er die Vereinbarung eines Stundenhonorars für kaum noch möglich, da es in der Tat einem rechtschaffenden Anwalt beim besten Willen kaum möglich sein dürfte zu Beginn eines Mandates den zu erwartenden Zeitaufwand auch nur annähernd zu prognostizieren.
Vielmehr zeigt die tägliche Praxis, dass der Zeitaufwand ganz wesentlich davon abhängig ist, wie etwa von dem Aufwand, den die Sichtung und Berücksichtigung allzu umfangreicher Schriftsätze der Gegenpartei mit sich bringt oder aber das Bedürfnis des jeweiligen Mandanten, die Sach- und Rechtsfragen wieder und wieder zu erörtern.
Wer kennt sie nicht, die Schriftsätze des einen oder anderen Kollegen von 150 oder 200 Seiten, die oftmals aus Textbausteinen zusammengesetzt sind, die aber gleichwohl ein sorgfältiges Studium erfordern, da sich irgendwo versteckt ja doch etwas Relevantes für den Fall finden lassen könnte. Wer kennt es nicht, dass man mit E-Mails oder Telefonanrufen des Mandanten beglückt wird, die dem Wunsche entsprechen, den eigenen gefertigten Schriftsatz mit dem Mandanten eingehend zu diskutieren.
Hinzu kommt, dass beispielsweise bei Bauprozessen der Arbeitsaufwand ebenso wenig zu kalkulieren ist, wie etwa bei Fällen aus dem Erbrecht oder dem Familienrecht – wobei diese Aufzählung keine Vollständigkeit beanspruchen soll. Und auch im Strafrecht dürfte es kaum möglich sein, zu prognostizieren, wie viel Zeit für die jeweilige Hauptverhandlung zu erwarten ist, insbesondere wenn mehrere Angeklagte und mehrere Verteidiger, unterschiedlicher Kompetenz und unterschiedlicher Verteidigungsmethoden (Stichwort Konfliktverteidiger) in dem Verfahren mit auftreten.
Erfreulicherweise sieht der EuGH dies offenbar ähnlich, wenn er formuliert, es sei zwar oft schwer, wenn nicht sogar unmöglich (sic!!!) bei Vertragsschluss vorherzusehen, wie viele Stunden genau erforderlich seien, um die Rechtsdienstleistung zu erbringen und somit welche Vergütung hierfür insgesamt zu zahlen sein wird. Mit etwas Optimismus wird man – so ganz deutlich äußert sich der EuGH leider nicht – die schwerwiegenden Folgen, die mit der Entscheidung verbunden sein könnten, dadurch relativieren können, dass es an anderer Stelle heißt, man müsse zumindest eine Verpflichtung eingehen, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind.
Der Mandant erfährt rechtzeitig und regelmäßig, wohin die Reise geht und wo er mit seinen finanziellen Belastungen steht; der Rechtsanwalt sichert sich ein regelmäßiges Einkommen und erhält nach vollbrachter Tätigkeit zeitnah den ihm zustehenden Lohn!
Erscheint dem Mandanten aufgrund einer Reihe von Abrechnungen die „Schmerzgrenze“ erreicht, so bleibt ihm nur – wenn keine andere genehme Lösung gefunden wird – die Kündigung des Mandats.
Dann muss ein zweiter Anwalt beauftragt werden, der möglicherweise – wenn auch aufbauend auf der bisherigen Tätigkeit des ersten Anwalts – nach Stundensatz abrechnet oder er findet einen Rechtsanwalt, der bereit ist, auf der Grundlage der gesetzlichen Vergütung zu arbeiten. Diese fällt dann allerdings zusätzlich an, was ebenfalls – jedenfalls bei hohen Streitwerten – schmerzhaft sein kann.
Wie man es auch dreht und wendet, der EuGH hat uns ein Theaterstück überlassen, bei dem einem das Zitat einfällt: „Der Vorhang fällt und viele Fragen bleiben offen.“
Wie nachstehend noch darzulegen sein wird, hat sich bereits ein deutsches Gericht mit der typisch deutschen Begeisterung zur Übertreibung des Urteils bemächtigt und einem Rechtsanwalt die eingeklagte Vergütung mit der Begründung versagt, der Entscheidung könne problemlos Rückwirkung beigemessen werden und zudem seien die Ausführungen nicht nur auf eine Vergütungsvereinbarung nach Zeitaufwand zu beschränken.
Die Entscheidung der 4. Zivilkammer des Landgerichts München I ist allerdings noch nicht veröffentlicht (Endurteil vom 02.02.2023, Az. 4 O 14404/22).
Hier hatte sich eine Anwaltskanzlei für die Prüfung eines Aufhebungsvertrages und eines Wettbewerbsverbots via Vergütungsvereinbarung eine Geschäftsgebühr mit dem Faktor 1,6 zusagen lassen, wobei es offensichtlich an einer Belehrung nach § 49 b V BRAO fehlte. Anders wäre die Entscheidung eigentlich sonst nicht zu erklären.
Das Landgericht München I beschäftigt sich zunächst mit der Frage, ob die reine Prüfung eines Vertragstextes ohne den dazugehörigen Auftrag an der Vertragsgestaltung mitzuwirken, eine Geschäftsgebühr überhaupt auslösen könne oder ob es sich nicht nur um eine Beratungstätigkeit handele.
Bei dieser Darstellung bleibt völlig offen, ob über den Faktor 1,6 hinaus nicht der Anfall einer Geschäftsgebühr vereinbart wurde, was meines Erachtens nach § 34 RVG auch dann zulässig wäre oder gewesen wäre, wenn hier nur eine reine Beratungstätigkeit zu leisten war.
So wie es im Urteil dargestellt wird, ist dieser Weg aber nicht gegangen worden, sondern es wurde der Anfall einer Geschäftsgebühr – durchaus zweifelhaft – unterstellt und lediglich der Faktor -via Vereinbarung – festgelegt.
Insoweit wird gerügt,
a) dass hier überhaupt keine Geschäftsgebühr angefallen sei
und
b) dem Mandanten völlig unbekannt geblieben sei, welche Belastung finanziell auf ihn zukomme.
Folge der Beurteilung des Landgerichts ist es dann, dass die Anwaltskanzlei über einen offensichtlich anerkannten Betrag hinaus die weiteren noch rechtshängigen 14.318,56 € in Gänze nicht zugesprochen erhielt.
In den Urteilsgründen heißt es dann weiter, durchaus den Entscheidungen zu § 49 b V BRAO folgend, wäre der Mandant zu Beginn des Mandates über die Höhe des von der Kanzlei unterstellten Gegenstandswertes und damit auch über die Höhe der Geschäftsgebühr mit dem Faktor 1,6 aufgeklärt worden, hätte er auf die Erteilung des Mandates entweder gänzlich verzichtet oder auf eine Abrechnung nach Zeitaufwand bestanden, was dann allerdings selbst bei einem Stundensatz von 300 € und den behaupteten 29 Stunden wiederum zu einem deutlich geringeren Honorar geführt hätte.
Damit bleibt die Frage, wie ist mit den beiden Entscheidungen umzugehen:
Was die Entscheidung des Landgerichts München I angeht, so erscheint mir dies lösbar:
Wer sich unsicher ist, ob sich die anwaltliche Tätigkeit auf eine Beratung beschränkt oder als eine Tätigkeit bei der Gestaltung eines Vertrages zu qualifizieren ist, trifft eine Vereinbarung, in der ausdrücklich und transparent die Berechnung einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV mit einem bestimmten Faktor vereinbart wird, allerdings unter gleichzeitiger Benennung des hier im Raume stehenden Gegenstandswertes.
Dies geht zwar über die Anforderung von § 49 b V BRAO hinaus, sichert aber meines Erachtens den Honoraranspruch.
Wer freilich noch sicherer gehen und es eigentlich auch noch einfacher machen will, der errechnet sich selbst unter Berücksichtigung des von ihm angenommenen Gegenstandswertes eine Geschäftsgebühr mit dem gewünschten Faktor und vereinbart ein Pauschalhonorar in entsprechender Höhe zuzüglich Umsatzsteuer.
Was die Entscheidung des EuGH angeht, führt die eigene Ratlosigkeit des EuGH (s. o.) dazu, dass es derzeit einen Königsweg wohl kaum gibt.
Allenfalls kann man den Versuch unternehmen, die Entscheidungsgründe dahingehend auszulegen, dass die Verpflichtung zur regelmäßigen Abrechnung des Zeitaufwandes davon entbindet, eine Prognose abzugeben, von der im Grunde genommen aus den oben genannten Gründen auch nur abgeraten werden kann.
Ob man hier mit Mindestbeträgen arbeitet oder den Zeitaufwand mit Circa-Angaben versieht:
Dies hilft alles nichts, sobald der Mindestbetrag überschritten wird und sich die Prognose in Luft auflöst.
Eine denkbare Formulierung könnte wie folgt lauten:
„Die Parteien sind sich darüber einig und dokumentieren dies hiermit, dass für die oben vereinbarte Abrechnung nach Zeitaufwand eine sichere Prognose des Gesamtaufwandes aus den besprochenen Gründen nicht möglich ist. Die Kanzlei verpflichtet sich aber, den jeweils angefallenen Zeitaufwand in der Regel monatlich abzurechnen und soweit in einem Monat keine Tätigkeit erbracht worden ist – in diesem Monat eine sogenannte „Fehlanzeige“ zukommen zulassen.
Dem abgerechneten Zeitaufwand wird jeweils eine Tabelle beigefügt, aus der der Mandant erkennen kann, welcher Anwalt der Kanzlei welche Tätigkeit mit welcher Zielrichtung erbracht hat.
Die Abrechnung erfolgt minutengenau (alternativ im 6-Minuten-Takt).
Wird der Abrechnung des Zeitaufwandes nicht binnen drei Wochen schriftlich widersprochen, gilt der Zeitaufwand als anerkannt, wenn auf der Rechnung auf diese Rechtsfolge gesondert jeweils hingewiesen wird.“
Zu diesen Vorschlägen ist anzumerken, dass der Bundesgerichtshof noch nicht endgültig entschieden hat, ob auch bei der Tätigkeit für ein Unternehmen die früher gebräuchliche 15-Minuten-Klausel zu beanstanden ist. Gleichzeitig wurde vom BGH offengelassen, ob eine minutengenaue Abrechnung erforderlich ist oder ob ein 6-Minuten-Takt – auch gegenüber einem Verbraucher -wirksam vereinbart werden kann.
Insoweit wird empfohlen, den sichersten Weg zu gehen.
Die Widerspruchsmöglichkeit mit einer Frist von drei Wochen stellt im Grunde genommen eine Beweiserleichterungsklausel dar, die bei genauer Betrachtung bei manchen Gerichten möglicherweise beanstandet wird. Zwar liegt kein Verstoß gegen § 309 Nr. 12 BGB vor, wenn eine solche Vereinbarung getroffen wird, die Klausel ist aber nach § 308 Nr. 5 BGB zu prüfen (s. hierzu Schneider; die Vergütungsvereinbarung; ZAP-Verlag; Rn: 733 und Rn 758).
Fazit:
Die Entscheidung des Landgerichts München I kann man meines Erachtens problemlos gerecht werden, wenn man sich an die Berufspflichten (§ 49 b V BRAO) hält und bei der Gestaltung von Vergütungsvereinbarungen die bekannte Rechtsprechung, insbesondere des BGH, berücksichtigt.
Eines Rückgriffs auf die EuGH Entscheidung hätte es also nicht einmal bedurft! Der nun einmal vorgenommene Rückgriff ist allerdings insoweit zu beanstanden, als sich der EuGH formell und inhaltlich ausschließlich mit einer Vergütungsvereinbarung nach Zeitaufwand beschäftigt hat, so dass es wohl dem urdeutschen Naturell zuzusprechen ist, im Falle des Falles über die Vorgaben von Europa hinauszugehen und noch päpstlicher zu sein als der Papst.
Was die EuGH Entscheidung selbst angeht, so wird die Zeit erweisen, ob die hier vorgenommene Auslegung und die damit verbundene Lösungsmöglichkeit über eine zeitnahe Abrechnung des Zeitaufwandes Sicherheit bietet oder nicht.
Wie heißt es so schön: „Der Mensch hofft bis zuletzt!“
Und Anwälte sind schließlich auch Menschen.