Auch Kolleginnen und Kollegen, die als angestellte Rechtsanwälte/innen oder freie Mitarbeiter/innen neben ihrer eigenen Kanzlei an einem anderen Standort anwaltlich tätig werden und dort nach außen hin in Erscheinung treten, sei es durch Führen von Mandantengesprächen, Unterzeichnung von Schriftsätzen, Wahrnehmung von Gerichtsterminen oder Benennung auf Kanzleischildern, Briefköpfen oder Internetauftritten, unterhalten eine „weitere Kanzlei“. So im Ergebnis die Entscheidung des AGH Berlin vom 08. Mai 2019 zu II AGH 17/18.
Der Umstand, dass eine dortige Büroausstattung und die Räume des anwaltlichen Arbeitgebers nicht die eigenen bzw. nicht vom Berufsträger selbst angemietet oder angeschafft wurden, und dieser nur außerhalb dieses Dienstverhältnisses seiner selbstständigen anwaltlichen Tätigkeit nachgeht, sind für diese Einordnung ohne Bedeutung.
27 Abs. 2 n.F. BRAO verpflichtet den Rechtsanwalt dazu, die Einrichtung einer Zweigstelle als auch die Einrichtung einer weiteren Kanzlei gegenüber der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen. Dies soll dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer ermöglichen, die berufliche Aufsicht auch über diese Standorte auszuüben sowie das elektronisch geführte Rechtsanwaltsverzeichnis um die Daten der Zweigstelle und/oder der weiteren Kanzlei gem. § 31 Abs. 1 BRAO zu ergänzen.
Vor der „kleinen BRAO-Novelle“ wurden sämtliche weitere Standorte, die der Entfaltung der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts dienten, als Zweigstelle erfasst, so dass jede Tätigkeit eines Rechtsanwaltes in einer zu seinem Hauptsitz weiteren lokalen Anlaufstelle, in welcher dieser seine anwaltliche Tätigkeit kontinuierlich und erreichbar ausübt, berufsrechtlich als Zweigstelle eingetragen wurde (vgl. Kleine-Cosack in BRAO, 5. Aufl., 2008 noch zu § 28 BRAO, Rdnr. 10).
Da eine Zweigstelle als räumlich getrennte Niederlassung eines Unternehmen zu verstehen ist, vgl. Siegmund in Gaier Wolf Göcken: Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2012 zu § 27 BRAO Rdnr. 101d, ist der Hauptstandort der Anknüpfungspunkt für die Zulassung des Rechtsanwalts und seine Kammermitgliedschaft, und alle weiteren Standorte, ob abhängig oder nicht, wurden begrifflich als Zweigstellen verstanden (vgl. Siegmund a.a.O.), so dass auch freie und angestellte Mitarbeiter in anderen Kanzleien dort bei Außenerscheinung eine Zweigstelle unterhielten. Zweig- und Hauptstelle stellten dabei jeweils Niederlassungen der Kanzlei dar, die sich nur danach unterschieden, in welcher der Rechtsanwalt seine berufliche Tätigkeit dem Schwerpunkt nach entfaltete (vgl. Weyland in Feuerich/Weyland: BRAO-Kommentar, 9. Aufl., 2016, zu § 27 Rdn. 26d).
Durch die ausdrückliche Normierung der weiteren Kanzlei neben der Zweigstelle wurde vom Gesetzgeber klargestellt, dass eine Zweigstelle ein von der Kanzlei abhängiger weiterer Standort ist und eine weitere Kanzlei einen weiteren – von der Zulassungskanzlei oder von weiteren Kanzleien unabhängiger und nicht angegliederter – Standort der Berufsausübung darstellt. Eine organisatorische Angliederung kann sich z.B. aus dem Auftreten unter dem Namen der Hauptkanzlei, aus einer mit der Hauptkanzlei verknüpften Büroorganisation oder aus der Bearbeitung derselben Mandate ergeben.
Die weitere Kanzlei dient der eigenständigen, von der anderen Kanzlei in Büroorganisation und Auftreten im Rechtsverkehr unabhängigen anwaltlichen Berufsausübung (BT-Drs. 18/9521, 110). Daraus ergibt sich, dass der Rechtsanwalt auch für jede weitere Kanzlei nach dem neuen § 31 a Abs. 7 BRAO ein weiteres besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) einzurichten hat.
Der AGH Berlin folgt in der oben benannten Entscheidung der Auffassung der Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Berlin, nach welcher eine weitere Kanzlei nicht begriffsnotwendig eine selbstständige Tätigkeit voraussetzt, sondern auch eine Angestelltentätigkeit mit umfasst. Dies ergibt sich aus der allgemeinen Wortbedeutung und dem berufsrechtlichen Regelungssinn und -zweck der Kanzleipflicht.
Entscheidend ist allein, dass neben der in der Zulassungskanzlei ausgeübten Tätigkeit als Rechtsanwalt an dem weiteren Standort in einer von seiner (Haupt-) Kanzlei unabhängigen Art und Weise (nämlich in der Bearbeitung von dortigen Mandaten) der Kollege anwaltlicher Berufsausübung nachgeht und dabei auch nach außen hin erkennbar in Erscheinung tritt.
Ob er dort als freier Mitarbeiter oder in angestellter Hinsicht tätig wird, ist für die Einordnung als weitere Kanzlei ebenfalls ohne Bedeutung.