Von Präsidiumsmitglied André Feske
Der Bundesgerichtshof hat sich im November 2020 (BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/2019 –) zum zweiten Mal mit der Anwendbarkeit der Fernabsatzvorschriften auf anwaltliche Dienstleistungen beschäftigt. Wieder musste der unbestimmte Rechtsbegriff
„im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“
in § 312c Abs. 1 BGB ausgelegt werden. Die erste Entscheidung des IX. Zivilsenats dazu (BGH, Urt. v. 23.11.2017 – IX ZR 20204/16 –) lag nicht einmal drei Jahre zurück.
Die sofort notwendigen Konsequenzen dieser Rechtsprechung für die Büroorganisation wurden schon im Kammerton 5/2018 (S. 3 – 8) ausführlich dargestellt.
Die neue Entscheidung ändert daran nichts. Die darin neu gewonnenen Auslegungskriterien des BGH bergen aber zusätzliche Tücken.
Allein das notwendige Bemühen jedes Anwaltsbüros auch unter den seit einem Jahr geltenden „Pandemiebedingungen“ weiter einen „Normalbetrieb“ aufrechtzuerhalten, dürfte aber den vom BGH definierten Anwendungsbereich der Fernabsatzvorschriften weit ausgedehnt haben.
Persönliche Kontakte sind ebenso stark rückläufig wie darauf beruhende persönliche Empfehlungen. Mandatsanbahnung und Abschluss des Anwaltsvertrages können in vielen Fällen nicht mehr unter „Anwesenden“ erfolgen.
Persönliche Besprechungen müssen deshalb durch klassische Telefonate oder Videobesprechungen ersetzt werden. Für die Akquise neuer Aufträge wird kaum ein Büro weiter darauf verzichten können, über eine Webpräsenz auf die eigenen Beratungsangebote aufmerksam zu machen.
Der Internetauftritt eines Anwaltsbüros, der sinnvoller Weise über die Darstellung einer „beleuchteten Visitenkarte“ hinausgeht und den Leser zielgruppenorientiert über die Arbeit des eigenen Büros unterrichtet, erfüllt aber bereits ein Kriterium des BGH zur Anwendung der Fernabsatzvorschriften. Denn damit ist, der Reichweite des Mediums „Internet“ geschuldet, notwendig immer eine
„deutschlandweite Werbung“
für die eigene Dienstleistung verbunden. Genau darauf stellt der BGH schon in einem Leitsatz der Entscheidung aber ab und bejaht das Vorliegen des „für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“.
Der BGH will diese Auslegung zwar dadurch eingrenzen, dass noch auf zusätzliche Kriterien abgestellt wird wie etwa die „Spezialisierung“ des Anwaltsbüros oder die durch Vertretung von „Mandaten aus allen Bundesländern“ offenkundige Ortsungebundenheit der anwaltlichen Dienste.
Auch das sind aber keine trennscharfen Abgrenzungskriterien. Ebenso wenig die Anzahl der pro Monat in einem Anwaltsbüro elektronisch eingehenden Mandatsanfragen, auf die der BGH bei der Auslegung nun ebenfalls abstellen will.
Gegen all diese Kriterien spricht allerdings schon, dass die Erreichung des gesetzlich gewollten Schutzniveaus nicht davon abhängen kann, ob der Anwaltsauftrag vom Verbrauchermandanten an einen „Spezialisten“ oder „Generalisten“ und über Ländergrenzen hinweg erteilt wird.
Für die Büroorganisation bleibt danach nur eine Wahl:
Spätestens jetzt – ab sofort – sollte auch in Ihrem Büro vor der Annahme eines Auftrags nachweisbar eine Widerrufsbelehrung in Textform an den potentiellen Mandanten erfolgen, wenn es sich nicht um einen Unternehmer in Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit handelt.
Das Muster einer Widerrufsbelehrung hat Rechtsanwalt Udo. W. Henke für den DAV schon im Anwaltsblatt April 2020 kostenfrei zur Verfügung gestellt.