Am 24. und 26. Januar 2023 ging es anlässlich des Tages der bedrohten Anwältin und des bedrohten Anwalts um die akuten Gefahren für die Kolleginnen in Afghanistan.
Am Nachmittag des 24. Januar haben knapp 50 Kolleginnen und Kollegen vor dem Auswärtigen Amt an einer Kundgebung teilgenommen und die Bundesregierung aufgefordert, die in Afghanistan vom Taliban-Regime bedrohte Anwaltschaft wirksamer zu schützen, als dies durch das umständliche und langsame Bundesaufnahmeprogramm bisher vorgesehen sei. Die RAK Berlin hat gemeinsam mit der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen, der Vereinigung demokratischer Jurist*innen und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein zur Kundgebung aufgerufen und die folgende Kernbotschaft formuliert: „Unsere Kolleginnen und Kollegen können nicht warten, ihr Leben ist in Gefahr und sie brauchen JETZT Unterstützung bei ihrem Wunsch, das Land zu verlassen.“
Zwei Tage später, am Abend des 26. Januar 2023 hat die Rechtsanwaltskammer gemeinsam mit den oben genannten Anwaltsorganisationen und zusammen mit dem Deutschen Anwaltverein (DAV) sowie der Vereinigung der Europäischen Rechtsanwälte (EDLH) eine aus Afghanistan geflohene Kollegin zu einem Informations- und Diskussionsabend eingeladen. Der große Sitzungssaal der RAK Berlin war bis auf den letzten Platz gefüllt. RA Bilinç Isparta, Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragter der RAK Berlin, moderierte den bewegenden Abend.
Die Kollegin schilderte die aktuell weiterhin sehr bedrohliche Lage für die Kolleginnen und Kollegen und die Herausforderungen für die Anwältinnen in Afghanistan. Es sei zwar auch vor der Machtergreifung durch die Taliban für die Kolleginnen ein ständiger Kampf gegen die patriarchalischen Strukturen gewesen und schon bei Annahme des Mandats habe die Prüfung vorgenommen werden müssen, ob die Gegenseite radikal sei. Seit der Machtübernahme seien aber viele Taliban aus den Gefängnissen entlassen worden, die nunmehr einen Rachefeldzug gegen die Anwältinnen führten.
Im Anschluss bestätigte ein Vertreter der Afghanistan Independent Bar Association (AIBA), die inzwischen im Exil von Brüssel aus arbeitet, die dramatische Situation für die Anwältinnen. Er beschrieb, dass die AIBA früher unabhängig gearbeitet, für die Zulassung der Kolleginnen und Kollegen zuständig gewesen sei und die Anwältinnen unterstützt habe. Nach dem Umsturz sei die AIBA aber von ihren Aufgaben entbunden und an ihrem Sitz in Kabul von Soldaten der Taliban überfallen worden.
Der Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins, Stefan von Raumer, wies in seinem Vortrag darauf hin, dass die Polizei in Afghanistan jetzt zum Teil sehr schwere Strafen ohne jede richterliche Kontrolle verhänge. Ein großer Nachteil für die Rechtsstaatlichkeit sei auch, dass es die Staatsanwaltschaft dort nicht mehr gebe. Zur Zeit lebten noch etwa 400 Kolleginnen in Afghanistan, 300 hätten das Land verlassen. Ausführlich schilderte von Raumer das Bundesaufnahmeprogramm. Erstmals für ein solches Programm agieren dabei NGOs (und nicht der UNHCR) als meldeberechtigte Stellen und erhalten damit ein Vorschlagsrecht. Die Bundesregierung treffe dann auf Grundlage der Vorschläge und festgelegter Auswahlkriterien die Auswahlentscheidung. Monatlich sollten 1.000 Personen aufgenommen werden, es gebe aber ein Vielfaches an Vorschlägen.
Wie viele der 400 Kolleginnen in Afghanistan mit Hilfe des Bundesaufnahmeprogramms das Land in absehbarer Zeit verlassen können und dort nicht mehr in ständiger Gefahr leben müssen, bleibt nach der Veranstaltung leider unklar.