Wann besteht die Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung (§ 48 BRAO) oder der Pflichtverteidigung? (§ 49 BRAO)

Von Präsidiumsmitglied Kati Kunze

 

Gemäß § 48 Abs. 1 BRAO muss der Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren die Vertretung einer Partei oder die Beistandschaft übernehmen,

  1. wenn er der Partei auf Grund des § 121 ZPO (Prozesskostenhilfe), gemäß § 4a Abs. 2 InsO, § 11a ArbGG oder auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte beigeordnet ist;
  2. wenn er der Partei auf Grund der §§ 78b, 78c ZPO (Notanwalt) beigeordnet ist;
  3. wenn er dem Antragsgegner auf Grund des § 138 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen (FamFG) und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit als Beistand beigeordnet ist.

 

Anders als bei der Beratungshilfe mildern die Verfahrensvorschriften diesen Zwang in der Fallgruppe 1 aber dadurch ab, dass sie die Beiordnung grundsätzlich auf den „zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt“ beschränken. Findet die Partei aber keinen „übernahmebereiten“ Rechtsanwalt, sehen auch die Verfahrensvorschriften dann vor, dass eine Beiordnung gegen den Willen des Rechtsanwalts erfolgen kann (z.B. § 121 Abs. 5 ZPO).

Der Notanwalt der Fallgruppe 2 betrifft die Verfahren vor Gerichten, in denen sog. Anwaltszwang herrscht, die Partei aber keinen übernahmebereiten Anwalt findet.

Die Fallgruppe 3 betrifft zum einen Scheidungssachen im ersten Rechtszug, wenn die Partei aber selbst keinen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten bestellt hat und das Familiengericht der Überzeugung ist, dass diese Maßnahme zum Schutz des Antragsgegners unabweisbar ist.

In allen Fallgruppen kann der Rechtsanwalt gemäß § 48 Abs. 2 BRAO beantragen, die Beiordnung aufzuheben, wenn hierfür gewichtige Gründe vorliegen. Daran werden strenge Anforderungen gestellt. Wichtige Gründe können gesetzliche Tätigkeitsverbote für den Anwalt sein ( §§ 43a Abs. 4, 45, 46c Abs. 2, 47 BRAO), schwere Erkrankung des Anwalts, aber insbesondere auch ein gestörtes Vertrauensverhältnis.

Eine Störung des Vertrauensverhältnisses liegt z.B. vor, wenn die Zusammenarbeit im Rahmen des Mandatsverhältnisses nicht mehr hinreichend gewährleistet ist. Zu derartigen Störungen können insbesondere mangelnde Mitwirkung der Partei bei der Prozessführung (z.B. Vorenthaltung von Informationen oder Nichterteilung einer Prozessvollmacht durch die Partei; keine Rückmeldung des Mandanten, wobei dieser in direktem Kontakt zum Gericht steht), mutwilliges Bestehen auf einen vom Mandanten bestimmten Inhalt des anwaltlichen Sachvortrages, oder aber ehrverletzende Äußerungen des Mandanten gegenüber dem beigeordneten Rechtsanwalt führen. Ob das Verhalten des Mandanten einen wichtigen Grund für die Aufhebung der Beiordnung darstellen kann, kann auch davon abhängen, wie weit der Rechtsstreit bereits fortgeschritten ist. Je weiter ein – u.U. langwieriger – Prozess bereits vorangetrieben wurde, desto höhere Anforderungen sind an das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu stellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Mandant keinen neuen Rechtsanwalt beigeordnet erhält, wenn ihn der Vorwurf des sachlich nicht gerechtfertigten und mutwilligen Verhaltens trifft (Quelle: Henssler/Prütting, 5. Aufl. 2019, BRAO § 48  Rn. 19)

Gemäß § 49 BRAO muss der Rechtsanwalt in strafrechtlichen Verfahren eine Verteidigung oder Beistandsleistung übernehmen, wenn er nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen oder des IStGH-Gesetzes zum Verteidiger oder Beistand bestellt ist.

Die Pflichtverteidigung oder Beistandsleistung darf nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abgelehnt werden.

Der Rechtsanwalt darf die Pflichtverteidigung dann aber nicht von sich aus niederlegen. Er muss gegenüber dem Gericht beantragen, die Bestellung zum Pflichtverteidiger aufzuheben.

Auch in diesem Fall gelten strenge Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Aufhebung. Es müssen Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden. Ein wichtiger Grund kann auch hier insbesondere eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Angeklagtem und Verteidiger sein. Es gelten dafür aber strenge Anforderungen.

 

Kammerton 01/02-2021